Neil Young – Mirror Ball

Reprise Records 1995

Neil Young also. Der Kanadier hat mittlerweile 50 Alben veröffentlicht – nur solo, versteht sich, und die unzähligen Live-Alben nicht mitgerechnet. Darunter finden sich bei einem Genie wie Young natürlich überall anerkannte Meisterwerke wie „Harvest“ oder „Rust never sleeps“. Ebenso findet sich darunter Überschätztes wie „Psychedelic Pill“ oder sogar ziemlich Danebengegangenes wie „Trans“ oder „Everybody´s rockin´“.

Und dann finden sich die in der Masse untergegangenen Schätze. Ich zähle als Mitglied einer Minderheitsfraktion „Re.ac.tor“ dazu und vor allem „Mirror Ball“. 1977/78 wurde Young, der gerade das wunderbar stimmige Folk-Album „Comes a Time“ einspielte bzw. veröffentlichte, von Punk wohl ein wenig überrascht. Er antwortete souverän mit „Rust never sleeps“ und der Zeile „This is the story of Johnny Rotten“ im Titelsong.

Als Grunge in den frühen 90ern hereinbrach, saß der ewige Hippie im Geiste komfortabler auf seinem Ranch-Schaukelstuhl. Einige der neuen Bands bewunderten ihn und sein lärmendes Gitarrenspiel als „Godfather of Grunge“. Unter den Verehrern standen Pearl Jam in der ersten Reihe. Sie setzten sein „Rockin´ in the free world“ auf ihre 92er-Setlist. Ein Jahr später übernahmen die Seattle-Rocker sogar die Rolle als Vorband in Youngs-US-Tour.

Im Jänner 1995 ging man gemeinsam ins Studio und spielte innerhalb weniger Tage 11 Songs mehr oder weniger live ein. Laut Young entstanden die meisten Songs erst im Studio, nur zwei nahm er mit dorthin. Pearl Jam-Sänger Eddie Vedder hielt sich mannschaftsdienlich zurück und der Rest der Band übernahm die Rolle von Crazy Horse, nur mit 25 Jahren weniger am Buckel. Am Anfang hört man Neil zur Band sagen: „No tuning, nothing“. Und was soll man sagen – es ist vermutlich Youngs energiegeladenstes Werk, sieht man von der zweiten Seite „Rust never sleeps“ ab.

Roher Rock, ohne lange Gitarrensoli, aber mit umso mehr Druck. Das holpert nicht charmant wie Youngs Hausband, das ist auf den Punkt gespielt. Simpel, dicht, riffbetont. Und geradliniger als auf „Downtown“ hat der alte Neil vorher und nachher nie gerockt. „Downtown, let´s have a party“. Und gemeinsam mit Stone Gossard kracht er ein Riff herunter, dass Keith Richards und Ron Wood die Spucke wegbleibt. Nur zweimal nimmt Young das Tempo raus und setzt sich kurz an die Pumporgel, ansonsten geht es immer zur Sache. 55 Minuten pure Energie.

“People my age, they don´t do the things I do“, singt der 50jährige im wohl zentralen Stück des Albums, dem 7-minütigen und gewaltigen „I´m the Ocean“. Wie Recht er leider hatte und hat. Aber es ist eben nicht jeder ein Gigant wie Neil Young: „I’m the ocean, I am the giant undertow”. Und hier hat er es wieder einmal bewiesen. So eindrucksvoll wie nachher nie mehr.

Veröffentlicht von ancientofmummu

René Siegl, Jahrgang 1959, sammelt sein 50 Jahren Musik. Sein Spektrum reicht von Soul bis Country, von Klassik bis Punk. Sein Lieblingsalbum ist und bleibt für immer "Velvet Underground + Nico". Er schreibt auch Bücher, in den Songs auftauchen - zuletzt den Wiener Regionalkrimi "Stairway to Häfen". https://www.amazon.de/Stairway-H%C3%A4fen-witzigsten-Polizisten-ermittelt-ebook/dp/B0D1Y56HG8/ref=rvi_d_sccl_1/262-9716039-2362835?pd_rd_w=n13OY&content-id=amzn1.sym.13dbab83-f61c-4000-b9ab-184f02ce8fa2&pf_rd_p=13dbab83-f61c-4000-b9ab-184f02ce8fa2&pf_rd_r=KP5XNHACGJ9A8V3TSBC6&pd_rd_wg=qjqqz&pd_rd_r=c4f39755-1952-4b24-95cb-5a96ec7a97cd&pd_rd_i=B0D1Y56HG8&psc=1

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